auf literarischer Entdeckungsreise im Süden

Von Karl Markus Gauß · · 2000/04

Als 1976 in Argentinien die Generäle putschten, verließ neben vielen anderen auch der Dichter Juan Gelman (vgl. SWM 3/00, S.10) sein Land und ging nach Mexiko. In der „äußersten Einsamkeit des Exils“ hat dieser jüdische Intellektuelle, der politisch immer eine Galionsfigur der Linken war, literarisch etwas höchst Merkwürdiges unternommen. Während ihn die Diktatur nötigte, ihr in Pamphleten, Aufrufen, Analysen publizistisch entgegenzutreten, suchte Gelman zu den sprachlichen Wurzeln seiner Existenz zurückzukehren, bis zu jener Kreuzung, da sich im 16. Jahrhundert das Sephardische, die Sprache der spanischen Juden, vom Spanischen trennte.

Gelmans sephardische Gedichte, geschrieben in einer Zeit der Verfolgung, verweigern sich der Politik und Aktualität, sind strenge poetologische Gedichte, die den Akt des Schreibens, den sprachlichen Schöpfungsvorgang, die Existenz in der Sprache und durch die Sprache feiern.

„Dibaxu. Debajo. Darunter“ ist ein Zyklus von 29 Liebesgedichten, wobei hier nicht nur die Liebe zwischen zwei Menschen, sondern auch das Verhältnis des Menschen zu seiner Sprache, des Autors zum Sephardischen gemeint ist. Im einen wie im anderen Falle ist die unio mystica das Ziel dieser Liebe, die Verschmelzung, die die Grenzen zum geliebten Menschen, zur geliebten Sprache aufhebt. Es ist die von Gelman im Vorwort selbst erwähnte „ternura“, die „Zärtlichkeit“, die sein Bild der Sprache wie der Geliebten bestimmt. Indem sich der einzelne überschreitet, erfährt er die Welt neu, und in der Hingabe wird ihm die Welt zum Geschenk: „was du mir gegeben hast/ ist Sprache die zittert/ in der Hand der Zeit/ offen zum Trinken

Juan Gelman: Dibaxu. Debajo. Darunter. Dreisprachige Ausgabe. Aus dem Spanischen ins Deutsche von Tobias Burghardt. Edition 350 im Verlag der Kooperative Dürnau. Dürnau 1999, 80 Seiten, ca. öS 210,-.

Karl-Markus Gauß, geboren 1954, lebt in Salzburg als Autor und Herausgeber der Zeitschrift „Literatur und Kritik“. Zuletzt erschien von ihm „Der Mann, der ins Gefrierfach wollte“ im Zsolnay-Verlag, Wien.

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